Self Interview — Part 3 (Deutsch)

Ein Atelierbesuch im November 2009. Ein Gespräch über aktuelle Gedanken des Künstlers, des Begriffs Wahrheit und Heimat in Bezug auf aktuelle Arbeiten. Ein Dialog über Familiengeschichte, Gesellschaftsspiel und der Verband zur Geschichte, sowie der Besuch von ehemaligen Konzentrationslagern.

Neulich, bei dir im Atelier habe ich ein Buch mit alten Fotografien deines Geburtsorts gesehen, als ich es aufschlug fiel mir eine Mappe mit zwei alten Familienfotos entgegen.

Ja, solche Fotobücher habe ich einige. Ich finde es unheimlich spannend um darin rumzublättern. Man entdeckt immer wieder etwas Neues. Wenn ich durch meinen Geburtsort fahre habe ich oft diese Bilder im Kopf und frage mich wie es wohl früher ausgesehen hat. Letzten Monat habe ich den Geburtsort meiner Großmutter besucht. Sie ist in Polen (ehemals Schlesien) geboren. Das war richtig toll, meine Oma hat gar nicht mehr aufgehört zu erzählen. Nach dem zweiten Weltkrieg ist sie mit ihrer Familie nach Westdeutschland vertrieben worden. Spannend mit jemanden zu sprechen, der solche historischen Erlebnisse erfahren hat. Zurück zu den alten Fotos die du gefunden hast, sie kommen aus Schlesien. Es sind Aufnahmen, welche vor dem ehemaligen Geburtshaus meiner Großmutter aufgenommen worden sind. Aber eigentlich liegen immer irgendwo irgendwelche alten Fotos auf meinem Schreibtisch. Manchmal würde ich gerne zurück in die Zeit reisen, um zu sehen ob es wirklich so ist, wie in den vielen Büchern beschrieben oder auf den vielen Fotos gezeigt. Eine Freundin behauptet ich hätte besser vor hundert Jahren gelebt. Was natürlich Quatsch ist. Hätte ich im Ersten Weltkrieg gelebt, würde ich mich wahrscheinlich mehr für den 30jährigen Krieg, oder ein sonstiges historisches Ereignis interessieren. Außerdem war das leben damals zu hart, im Winter war es zu kalt und mit meiner ersten großen Liebe eine Großfamilie gründen, scheint mir auch nicht optimal.

Zurück in die Zukunft, was muss ich mir darunter vorstellen? Da sind auch wieder alte Fotos im Spiel.

Zurück in die Zukunft ist der Titel einer aktuellen Arbeit. Zurück in die Zukunft sind Gegenüberstellungen von alten Fotografien mit neuen Aufnahmen.

Zum Beispiel habe ich ein Foto von meinem Vater mit seinem Bruder, welches ca. 1974 aufgenommen wurde, einem Foto von ihm und seinem Bruder im Jahr 2008 gegenübergestellt. Zwischen diesen beiden Aufnahmen liegen ca. 35 Jahre. Habe eine Menge alter Fotos rausgesucht und werde denen eine neue Aufnahme gegenüberstellen. Bei einigen wird auch Text zu lesen sein. Der Text wird von den verschiedenen Eigentümern der Fotos verfasst. Wie die ganzen Fotos zusammen kommen sollen und wie viel ich noch machen werde, weiß ich noch nicht.

Kann hier noch nicht so viel Interessantes erzählen. Vielleicht beim nächsten Treffen. Im großen und ganzen geht es um Veränderung und um Wahrnehmung. Soviel kann ich schon sagen.

Letztes Jahr bist du die ehemalige Innerdeutsche Grenze entlanggefahren und dieses Jahr hast du ehemalige Konzentrationslager aus der Zeit des Nationalsozialismus besucht. Du suchst dir aber auch die heftigsten Themen der Deutschen Geschichte aus.

Am Anfang war ich mir gar nicht bewusst darüber wie viele Konzentrationslager es gab. Mit all den Arbeitslagern, Zwischenlagern, Tötungsanstalten und Vernichtungslagern werde ich wahrscheinlich noch einiges besichtigen müssen. Egal wo man sich in Deutschland befindet, fast alle hundert Kilometer entfernt gab es eine dieser grausamen Staatsapparate. Heute sind die meisten für ein Besichtigungspublikum geöffnet. Manche haben selbst aufwendig hergestellte Dauer- oder Wechselausstellungen. Sehr interessant, es lohnt sich ein Besuch. Was mich am meisten fasziniert hat waren jedoch die Orte, die einfach als normale Wohn- oder Industrieorte weiterbenutzt werden. Da findet man sehr absurde Bilder. In Stadtallendorf gibt es eine Wohnsiedlung im Industriegebiet, in der die Bewohner die damaligen Bunkergebäude in Wohnhäuser umfunktioniert haben, oder sie haben neue Häuser auf die Bunker bauen lassen. Als ich das gesehen habe war ich erstmal sprachlos.

Warum die Deutsche Geschichte?

Na ja, erstmal bin ich ja selbst Deutsch. Daher ist es nahe liegend bei seinen eigenen Wurzeln zu beginnen. Ich habe also ganz konzeptuell bei der Geschichte meiner Großeltern angefangen. Das ganze ist eher eine praktische Erwägung.

Warum gräbst du überhaupt in der Vergangenheit? Ist dir die Gegenwart zu langweilig?

Also langweilig ist sie bestimmt nicht. Alles was in der Vergangenheit passierte, beeinflusst die Gegenwart in irgendeiner Weise. Man kann keine Gegenwartskunst machen, wenn man sich nicht mit der Kunstgeschichte befasst. Kunst ist immer eine mögliche Antwort auf eine in der Vergangenheit gestellte Frage. Und natürlich gibt es verschiedene Antworten. Identität ist für mich immer ein Thema und hat auch immer mit Geschichte zu tun. Ich bin Heimatlos. Dadurch bleibt die Frage der Identität immer aktuell und daher auch der Blick in die Vergangenheit. Das ganze ist ein Kreislauf, ich kann sozusagen gar nicht anders.

Was ist das für eine Konstruktion, eine alter Fensterrahmen und eine Kastenkonstruktion? Ist glaube ich noch feucht von der Farbe? Oh, nein, jetzt habe ich Farbe an den Händen.

Du bist ganz schön neugierig. Aber ich finde es gut das du so dreist durch mein Atelier läufst alles anfasst und dann noch neugierige Fragen stellst und natürlich meinen letzten Kaffee leerst. Es werden viel zu wenig Fragen gestellt. Oft nimmt man alles einfach hin und hinterfragt nichts mehr. Und es gibt hier in diesem Raum so ungemein viel zu hinterfragen. Oft habe ich nämlich auch gar keinen blassen Schimmer was ich hier eigentlich mache und es hilft, wenn jemand vorbei kommt und neugierig fragt. Häufig erlebe ich das bei Ausstellungseröffnungen, alles scheint so heilig und man traut sich kaum eine Frage zu stellen.

Also was das werden soll, ein Prototyp von einem Leuchtkasten. Dieses Foto soll später eventuell hier rein kommen. Also eine Landschaft aus meinem Geburtsort. Es soll ein Fenster mit Leuchtkastenfunktion werden. Ich baue den Kasten erstmal in einer kleinen Variante. Wenn ich einen geeigneten Ausstellungsraum für das ganze Konzept gefunden habe und das nötige Budget habe werde ich das Ding zwei bis drei Meter groß bauen. Die Idee ist das man seine Heimat an jeden neuen Wohnort mitnehmen kann. An einer leeren Wand angebracht wird das Gefühl von nostalgischer Sehnsucht konstant befriedigt. Ein vertrauter Blick aus dem Fenster.

Es ist ein Foto aus deiner Heimat Serie?

Ja, das stimmt. Ich entwerfe gerade ein Ausstellungskonzept in dem meine Arbeiten zusammen kommen. Hier werde ich Foto Serien, Objekte und Installationen zusammenbringen. Der Leuchtkasten soll sozusagen der Einstieg in die Ausstellung sein. Und was eignet sich am Besten? Eine klischeehafte Heimatabbildung.

Erzähl ganz kurz was über dieses Konzept. Was willst du ausstellen?

Oh, je. Weiß ich selbst noch nicht so genau. Es wird einen sehr dunklen Raum geben, in dem kleine Monitoren an den Wänden hängen. Auf den Monitoren wird jeweils eine Fotografie gezeigt, Kopf stehend und wahrscheinlich mit der Camera Obscura gemachte Fotos werden das sein. In der Mitte des Raums steht oder hängt eine Glaskugel. Die Kugel fängt das Bild auf und kehrt es wieder um, das heißt es steht nicht mehr Kopf. Mal sehen ob das ganze überhaupt so funktioniert wie ich es mir vorstelle. Dann gibt es noch einen Raum mit Schultafel und Schulbänken. Mehrere Apparate werde ich bauen, ein Münztelefon, falls jemand raus telefonieren will, ein umgebauter Computer, eventuell mehrere Vitrinen mit kleinen Arbeiten. Wie schon gesagt, ich stehe noch am Anfang. Es kann auch gut möglich sein, dass ich Dinge verwerfe oder auf sonstige Weise verändere.

Ich hoffe, dass du einen geeigneten Ausstellungsraum für diese tollen Arbeiten bekommst und dass das ganze auch finanziert wird. Was ich dich heute noch fragen wollte ist deine Einstellung zum Begriff Wahrheit. Wenn ich dich richtig verstehe ist das ja immer wieder ein Thema in deinen Arbeiten.

Ich glaube man kann nicht sagen das ist schlecht und das ist gut. Man könnte es höchstens anders formulieren und sagen; aus dem mir vorliegenden Informationen resultiere ich, dass dies schlecht ist. Aber das würde auch nichts an unserer komischen Art verändern, immer alles in Ordnungssysteme zu stopfen. Wir als Menschen haben bestimmte Ideen und starr halten wir daran fest. Je älter wir werden, je kurzsichtiger werden wir. Diese Ordnungssysteme sind uns auferlegt durch unsere Kultur. Dazu gehört der Lebensort und die Menschen die uns umgeben. Und natürlich sind wir von vorneherein geprägt durch unsere Erziehung, also durch unsere Wurzeln. Das ganze verbreiten wir, indem wir Ansichten kommunizieren. Jeder Mensch bildet sich Meinungen zu verschiedenen Themen, aber eine Meinung ist nicht gleichzusetzen mit einem Fakt. So gesehen gibt es keine Fakten. Alles ist durch irgendwelche Überzeugungen entstanden.

Die Wissenschaft ist einer der am seriösesten verwendete Methode um wahre Erkenntnisse zu erlangen, aber selbst in der Wissenschaft passiert es häufig, dass Meinungen ein Ergebnis verfälschen. Im sozialen Miteinander ist das ganze noch schwieriger zu definieren. Menschen im sozialen Gefüge sind nie rationell in ihren Äußerungen. Missverständnisse stellen daher die größte Gefahr im sozialen Gefüge. Mein persönliches Beispiel ist die Sprache. Da ich mit einem anderssprachigen Partner zusammen lebe, weiß ich aus eigener Erfahrung was kommunikative Missverständnisse für absurde Probleme verursachen können. Viele meiner Arbeiten spielen mit dem Thema Wahrheit. Gibt es überhaupt eine Wahrheit? So gesehen ist das ein roter Faden durch meine Arbeiten. Es fing mit der Foto Serie Kindheit an, wo ich noch relative hilflos mit dem Thema umgegangen bin.

In dieser Foto Serie platzierst du dich und eine zweite Person an Orte die in deiner Kindheit eine Rolle gespielt haben?

Ja, das ist richtig. Das sind Orte, wie meine alte Grundschule oder das Schwimmbad welches ich als Kind oft besucht habe. Wir posieren ziemlich übertrieben und damit sehr unrealistisch. Es sind sicher keine realen Kindheitserinnerungen, welche ich hier nachspiele. Es ist eher ein Spiel mit der Wahrheit. Ich bin früher in dieses Freibad gegangen, aber wie, mit wem und wann genau weiß ich nicht. Es sind verschwommene Erinnerungen. Dadurch, dass sie verschwommen sind werden sie auch schnell verfälscht. Wir dichten Dinge dazu oder übernehmen Überlieferungen die durch ihre Subjektivität an Wahrheit verloren haben.

Gesellschaftsspiel heißt eine Fotoserie von dir. Du agierst in dieser Fotoserie auch mit einer zweiten Person. Die Titel der einzelnen Fotos liefern wichtige Informationen zum Inhalt, ohne diese Titel ist es meist schwierig Zugang zur Arbeit zu erhalten. Was hat es mit der Arbeit Oorlog auf sich?

In der Arbeit mit dem Titel Oorlog erblickt man eine Art Kriegsschauplatz. Das Wort oorlog habe ich aus dem holländischen Übernommen, heißt zu deutsch, Krieg. Zerstörung, Stolz und Angst sind typische Erkennungsmerkmale für eine Kriegssituation. Natürlich ist hier auch wieder klar, dass ich hier kein Kriegsbild nachstelle. Das ganze ist eher mit Ironie zu verstehen. Es gibt viele solcher Baustellen Kulissen, besonders in Städten, diese erinnern mich immer wieder an Bilder von echten Kriegsschauplätzen. Kurz: du kannst nur ernst genommen werden, wenn du dich selbst nicht zu ernst nimmst.

Neuengamme ist auch so ein Titel. Für mich war das ein abstraktes Wort, hatte ich noch nie gehört. Nach einer Suche auf Google habe ich dann erfahren das Neuengamme ein ehemaliges Konzentrationslager in Norddeutschland ist, in der Nähe von Hamburg.

Ich positioniere mich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme und mache ein Foto. Das Foto ist total unspektakulär, mit der Ortsangabe im Titel gebe ich dem Foto eine Wichtigkeit, die es fototechnisch nicht hat. Ich könnte auch einfach ein Foto im Garten machen und es Neuengamme nennen, der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ist sehr gering. Vielen Orten ist durch geschichtliche Ereignisse eine Wichtigkeit auferlegt worden, aber es gibt auch viele Orte die eigentlich wichtig sind, aber denen diese Wichtigkeit genommen wird. Weil sie vergessen werden oder von einer Instanz für nicht wichtig deklariert werden. Wir legen eine Wahrheit fest, welche aber nie die objektive Wahrheit sein kann. Gibt es überhaupt echte Wahrheit? Es ist im Grunde das Spiel mit der Grenze zwischen Lüge und Wahrheit.

Wo wir wieder beim Begriff Wahrheit sind. Ich glaube ich begreife was du sagen willst.

Meine zweite Frage wäre die Erläuterung des Begriffs Heimat. Taucht ziemlich häufig in deinen Arbeiten auf. Also ganz plump was bedeutet Heimat für dich?

Aus dem historischen Kontext war Heimat lange Zeit ein Synonym für Wohnort oder Geburtsort. Die Heimatfilmkultur hat ihr dann den Stempel der bedrohten meist idealisierten dörflichen Heimat beschert. Auch in der Literatur findet man viele Hinweise zur Definition der Heimat, z.B. Exilliteratur. Die Geschichte des Heimatbegriffs ist sehr interessant und vielschichtig. Zumal wir heute anders mit dem Begriff umgehen als die Menschen vor hundert Jahren. Was auch interessant ist, ist das es diesen Begriff Heimat nur in der deutschen Sprache gibt. Für mich persönlich ist Heimat ein Gefühl, also sehr abstrakt und schwierig bildlich umzusetzen. Heimat ist in dem Sinn kein greifbarer Ort. Jedoch kann ein Ort den ich sehr gut kenne, Ausdruck einer Heimatverbundenheit werden. Komme ich an einen Ort, welcher mit Erinnerungen beladen ist, kann er zur Heimat werden, aber nicht durch den Widererkennungseffekt des Ortes, sondern durch die Erinnerungen, welche ich mit diesem Ort verbinde. Letzten Sommer habe ich angefangen über meine Wurzeln zu recherchieren. Ich habe die Geburtsorte meiner Großeltern besucht. Ich stand vor dem Elternhaus meiner Großmutter, welches sie seit 50 Jahren nicht mehr betreten hat. Selbst ihre Eltern und Geschwister leben seit langer Zeit nicht mehr in diesem Haus. Das Haus erhält, durch die Informationen meiner Großmutter, einen gewissen Wert. Absurderweise hätte es auch sein können, das ich vor dem falschen Haus stehe, da die Hausnummern im Laufe der Zeit verändert wurden. Wahrscheinlich hätte ich trotzdem mit feuchten Händen in der Hosentasche aufs Haus geschaut. Heimat ist also nicht unbedingt wahr. Und wieder sind wir bei der Fragwürdigkeit der Wahrheit angelangt. Heimat ist im Grunde ein Ort, welcher von Erinnerungen lebt und Erinnerungen können auch lügen, oder eigentlich tun sie das immer. Heimat kann der Ursprungs Ort sein, da wo wir geboren sind, wo wir geprägt wurden, oder aber der Ort an dem wir uns zu Hause fühlen geprägt durch eine Person, oder ein festgelegter Ort, wie eine Wohnung oder durch sonstige Umstände, wie ein uns wichtiger Job. Genauso wie mit der Definition von Kunst jeder erst einmal ins stottern gerät ist auch der Begriff Heimat schwer fassbar. Die Frage was Heimat eigentlich ist und wie wir damit umgehen fasziniert mich.

Warum bist du auf die Idee gekommen eine Fotoserie mit dem Titel Heimat zu kreieren?

Am Anfang habe ich mich mit den Klischeebildern von Heimat beschäftigt. Wie zum Beispiel die Arbeit mit dem Titel Alpen, welche auf die deutschen Heimatfilme anspielt.

Viele Heimatfilme spiegeln eine utopische Heimat wieder. Die Handlungen sind immer gleich. Idealisierte Lebensgemeinschaft steht vor dem Zusammenbruch, doch zum Glück kehrt sich alles zum Guten. Es gibt keine Verlierer nur Gewinner. Meine dargestellten Alpen, welche oft als Symbol des Heimatbegriffs dienen, sind eigentlich eine Kopie einer Abbildung. Ich habe eine Zeitlang nach dem passenden Motiv gesucht und dann eine Fototapete entdeckt, welche diesem sehr nahe kommt. Also wer möchte kann diese Arbeit auch im Baumarkt kaufen und sein gesamtes Wohnzimmer mit ihr schmücken. Die Geschichte meiner Heimat oder besser meines Geburtsorts ist ein wichtiges Thema in neueren Arbeiten der Foto Serie. Im Grunde suche ich nach meinen Wurzeln, um meine Heimat und natürlich mich selbst besser zu verstehen. Wäre ich nicht aus meinem Geburtsort weggegangen, wäre dieses Thema wahrscheinlich nicht so aktuell für mich. Um es ganz plump zu sagen: wäre ich nicht weggezogen, wäre es für mich normal meine Wäsche nicht am Sonntag auf den Balkon zu hängen!

Beim ersten Blick auf das Foto mit dem Titel Polterabend, erblickt man ein verschneites Grundstück mit einem bayrisch anmutenden Haus. Der Titel sagt uns, dass es sich um einen Polterabend handelt, oder zumindest hat hier eventuell ein Polterabend stattgefunden, das heißt der Schnee könnte eher Schaum oder dergleichen sein. Ich liebe diese Doppeldeutigkeit. Ein definitives Bild gibt es nicht. Eigentlich ist fast alles mehrdeutig. Was mich fasziniert ist die Möglichkeit der Lüge. Würde das Foto Schneelandschaft heißen, würde der Betrachter es für wahr annehmen. Fotoapparate sind Lügenmaschinen, bzw. kann man sie ganz explizit dafür einsetzten, um Lügen zu verbreiten.

Was für Motive erblicken wir, wenn wir die sehr umfangreiche Serie ansehen?

Zum einen die schon genannten Klischeebilder die sich mit dem Begriff Heimat auseinandersetzen, wie die Arbeit mit dem Titel Alpen. Dann tauchen die Bilder meines Geburtsortes auf. Zu Beginn bin ich viel durch die Gegend gewandert und habe einfach nur versucht diese Orte mit etwas Abstand zu betrachten. Ich habe sehr viele absurde Motive gefunden. Konservative bürgerliche Denkmuster spiegelten sich in den Motiven wieder.

Letztes Jahr habe ich einen Teil dieser Fotoserie in meinem Geburtsort ausstellen können. Bei der Ausstellungseröffnung erklärte mir jemand beim betrachten der Fotografie mit dem Titel Schlafendes Haus, das er auch immer seine Rollladen komplett runterlassen würde, wenn er für längere Zeit aus dem Haus sei. Dann wurde er nachdenklich und stellte fest wie sein Haus in dieser Zeit bildlich für vorbeifahrende aussehen musste.

Ina Marie Schmidt, Dezember 2009.

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