Self Interview — Part 2 (Deutsch)

Natürlich muss ich heute auf deine bevorstehende Reise zusprechen kommen. Du willst diesen Sommer die ehemalige innerdeutsche Grenze bereisen und mit Tonnen schwerem Fotomaterial zurückkehren?

Ja, das Thema DDR reizt mich schon eine ganze Weile. Ich bin leider viel zu jung gewesen und habe den ganzen historischen Teil nicht wirklich miterleben können. Erinnern kann ich mich an die Grenzöffnung. Meine Eltern sind damals gleich mit mir in die ehemalige DDR gefahren um zu schauen, wie es dort aussieht. Ich kann mich noch genau an den Ort erinnern. Ich war total schockiert über den Zerfall, ich fand es damals schon wunderschön. All die alten Häuser und fast alle einsturzgefährdet. Toll war das. Spannend und aufregend. Nur leider hatte ich irre Kopfschmerzen an diesem Tag, muss an der schlechten Luft gelegen haben. Zumindest behaupten das meine Eltern.

Und jetzt willst du in die Geschichte eintauchen und nach Spuren suchen?

Ich will die komplette Grenze sehen und nach Anhaltspunkten suchen. Das ist schon ein bombiger Teil unserer Geschichte und es ist noch gar nicht so lange her. Das ist fast so, als ob ich mit zehn Jahren Adolf Hitler in der Tagesschau gesehen hätte.

Hin und wieder fahre ich von Hamburg aus über die ehemalige Grenze. Letztens hatte ich auch eine Ausstellung in Ostdeutschland, man das war toll. Wenn ich die Häuser sehe und die Dorfstrukturen, dann muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass ich in Deutschland bin. Ich finde es unheimlich spannend die Unterschiede zu finden und aufzuzeigen.
Merkwürdige Begegnungen hatte ich im Osten auch schon öfters. Als ich nach der Ausstellungseröffnung zurück nach Hamburg gefahren bin, stand plötzlich ein Junge auf der Straße und grüßte mich mit dem Hitler Gruß. Das ist doch unglaublich. Paradoxerweise habe ich mich gefreut. Die Einfachheit und die Ehrlichkeit dieser Geste hat mich fasziniert. Vom Kommunismus in den Nationalismus, das ist doch irgendwie vergleichbar?
Auf einer meiner Partys, welche zu Schulzeiten stattfand, hat ein Freund einen Hitler Gruß zum Besten gegeben. Das ganze wurde auf VHS Tape aufgenommen. Am nächsten Tag rief mich dieser Freund an und bat mich, die Stelle auf dem Tape zu löschen. Er hatte ein völlig schlechtes Gewissen und muss sich tierisch geschämt haben. Aber warum? Natürlich hat er das nicht ernst gemeint! Aber trotzdem, irgendwie hat er damit nicht leben können. Ich habe die Stelle übrigens nicht gelöscht, eher aus Faulheit als aus sonstigen Gründen. Leider habe ich keinen VHS Spieler.
Es gibt viele solcher Ereignisse die mich faszinieren. Meine Mutter behauptete einmal, dass der Nachbar ein Rechtsradikaler ist, da er eine Deutschlandfahne im Garten hängen hat. Das war lange vor der WM 2006. Zur WM 2006 hat meine Schwester dann auch eine kleine Fahne ans Fenster gehängt. Die Zeiten ändern sich, auch wenn die Generation meiner Eltern immer noch ein bisschen behindert in Bezug auf ihre Identität reagiert.
Um wieder zur Frage zu kommen: Ostdeutschland ist schön und aufregend. Es ist nicht so voll wie im Westen, das heißt; viel Natur. Jedes Mal wenn ich das Schild Ehemalige Innerdeutsche Grenze sehe, freue ich mich riesig.

Ich kann dir nicht ganz folgen. Dich fasziniert die Rechte Gesinnung im Osten?

Der Punkt ist der; Leute, die mit dem Zeigefinger drohen sind oft viel schlimmer als Leute, die ihre – vielleicht auch total idiotischen Ideen, äußern. Von den Zeigefinger Leuten gibt es leider noch viel mehr und die werden immer schlimmer und radikaler. Leute, die alles hinnehmen und sich unterordnen meine ich. Leute, die auf ihren Chef schimpfen aber dann für drei Euro die Stunde für ihn arbeiten. Und dann erzählen sie noch was man darf und was man nicht darf. Ach die Welt ist schlecht! Und aus diesem Schlechten zerre ich meine Kreativität. Ich ernähre mich aus dem geschichtlichen Müll. Ich liebe das Dunkle. Nur wer schlechte Seiten hat, hat auch gute.

Ich bin gespannt was mich im Osten erwartet. Die Leute haben bis 1989 in einer Kommunistischen Diktatur gelebt. Bis zu meinem 10. Lebensjahr haben die durch eine Hochsicherheits-Grenze eingesperrt gelebt, wenn das nicht spannend ist.

Du hast einmal gesagt das du versuchst, ein realistisches, ein echtes Abbild deiner Objekte darzustellen. Deine Protagonisten sollen natürlich auftreten und sind ungeschminkt. Trotzdem sind deine Arbeiten inszeniert und sehr unrealistisch. Wie funktioniert das?

Also erst einmal glaube ich nicht an Wahrheit. Wenn ich sagen würde, dass ich eine bestimmte Person realistisch abgebildet habe, d.h. ich habe ein wirkliches Abbild von ihr geschaffen, ihren Charakter verbildlicht, dann würde ich lügen. Ein Abbild sagt gar nichts aus. Es sagt uns vielleicht welche Augenfarbe jemand hat oder wie lang sein Haar ist, aber über seine Persönlichkeit oder dergleichen erfahren wir nichts. Selbst wenn ich eine Person sehr gut kenne und habe sie schon tausend Mal fotografisch abgebildet, ich werde nie behaupten können, dass eine Aufnahme an die Substanz geht. Selbst wenn ich denke ich habe das ideale Foto gemacht, dann ist meine Ansicht auch subjektiv und daher unwahr. Aber was ist wahr? Wenn es regnet und man wird nass, dann könnte man das als Wahrheit bezeichnen. Aber vielleicht empfindet jemand anders nicht das er nass wird, sondern das er gewaschen wird, oder abgekühlt!
Mit der Fotografie verhält es sich noch komplizierter, da man sie schnell für Wahrheit deklariert. Der Mensch kann zwar abstrakt denken, aber um eine Abbildung, welche eine relativ realistische Situation darstellt, zu abstrahieren, das schafft er kaum.
Neulich im Supermarkt stand ein Mädchen mit ihrem Vater an der Kasse. Sie erzählte ihm von einem Produkt, welches so toll schmeckt, und als der Vater fragte:“ warum denn?“, antwortete sie mit genau den gleichen Argumenten wie die Werbung dieses Produkt anpreisen würde. Sie sprach von Dingen, die sie wahrscheinlich nicht begriff, aber trotzdem für wahr hinnahm. Das hört sich so an wie; mit gebrochenem Bein läuft es sich besser.
Was ich damit sagen will ist, dass wir uns unbewusst schnell beeinflussen lassen, Dinge die uns vorgezeigt werden für wahr anzunehmen. Das merke ich an mir selbst, wenn ich zu viel Zeitung lese, fernsehe oder mit immer der gleichen Person zusammen bin. Ich versuche, das Ganze zu umgehen, indem ich meine ‚gewonnenen Erkenntnisse’ immer wieder in Frage stelle.
Die Fotografie ist widersprüchlich. Einerseits bildet sie Realität ab, aber andererseits ist sie weit entfernt von Wahrheit. Ich sehe eine Person mit genässten Augen, weint sie oder hat sie vielleicht nur eine Fliege im Auge? Fotografie ist das brutalste Medium. Es ist wie die Hölle. Man ist total eingeschränkt. Ich glaube jedes andere Medium ist tausend Mal freier als es die Fotografie jemals sein wird. Aber das macht für mich gerade den Reiz aus.

Also ist jede Realität die du einfängst auch gleichzeitig nicht wahr? Warum suchst du die Wahrheit, trotz das du immerfort scheiterst?

Das Ziel des Menschseins ist es, sich immer weiter zu entwickeln. Durch Reichtum in jeglicher Form, wie z.B. Wissen, Güter und wie es früher gängiger war, durch Fortpflanzung.
Der Mensch ist durch seinen Intellekt gezwungen, nach Wahrheit zu suchen. Anders kommt er nicht zum Reichtum, und den braucht er, um Mensch zu sein. Ansonsten wäre er eine Fliege, oder im schlimmsten Fall ein Schaf.
Da Wahrheit nicht wirklich besteht, ist das Ganze ein endloser Kreislauf.

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