Self Interview — Part 1 (Deutsch)

Warum stellst du Unikate her? In der Fotografie ist es höchst selten, dass man Unikate herstellt. Der Vorteil der Fotografie stellt im Besonderen ihre Möglichkeit der Vervielfältigung dar. Warum willst du diesen Vorteil nicht nutzen?

Die Wertschätzung spielt eine wichtige Rolle. Wird meine Arbeit nicht minderwertiger, wenn ich eine Art Massenproduktion anstrebe? Eine Vervielfältigung ist nur notwendig, um geschäftlichen Gewinn zu machen, aber das interessiert mich nicht. Das Eis im Gefrierschrank schmeckt viel besser und ist viel intensiver im Verzehr, wenn ich nur noch eins habe, habe ich eine 10er Packung im Eisschrank, wird es bedeutungsloser und unwichtiger. Vielleicht esse ich sogar zwei oder drei, bis mir schlecht wird. So verhält es sich mit meinen Arbeiten; ich möchte, dass meine Arbeiten ihre nötige Aufmerksamkeit vom Betrachter bekommen. Es soll ihnen nicht schlecht werden, sie sollen sagen: „Ach, weißt du noch Schatz, als wir uns die Arbeiten von Ina Marie Schmidt angesehen haben, dass war ein intensives Erlebnis, irgendwie haben sie mich berührt, manche Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf!

Was ist, wenn doch mal eins verkauft wird? Dann ist es nur einer kleinen Gruppe zugänglich und keiner weiß was für ein intensives Erlebnis er vermisst?

Ja, das stellt ein Problem dar. Es gibt noch die Möglichkeit, zwei fast identische Aufnahmen herzustellen; und dann die eine Arbeit unverkäuflich zu halten. Das klingt idiotisch ist aber nur konsequent. Besonders deutsch fühle ich mich bei solchen Ideen. Ordnung muss sein und ich muss an meinen Prinzipien festhalten.
Oder aber der Käufer muss einen Vertrag einhalten, indem er die Arbeit für Ausstellungen immer und zu jeder Tages und Nachtzeit zur Verfügung stellt. Und er muss natürlich dafür sorgen, dass die Arbeit nicht in der Gartenlaube steht oder hängt, da sie dann die nächsten zwanzig Jahre kaum überleben würde. Man könnte die Arbeiten aber auch einfach vermieten, für einen gewissen Zeitraum. Das heißt, sie wären immer mein Eigentum. Oder einfach nie verkaufen. Ich fühle mich, was dieses Thema angeht, etwas hilflos. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, aber die meisten sind mit sehr viel Aufwand verbunden und müssen rechtlich abgesichert werden. Ich denke es ist wichtiger, dass ich mich mit dem produktiven Weiterarbeiten beschäftige und mich nicht als Geschäftsfrau verkleide.
Im Grunde ist jede neue Auflage die ich anfertige ein Unikat. Alle Arbeiten werden von mir persönlich in der Dunkelkammer hergestellt, und die Bedingungen sind nicht immer die gleichen, daher würde der Print ein Unikat sein. Klingt komisch, ist aber so.
Und was wäre, wenn jemand nachts nicht mehr schlafen könnte, ohne das eine Arbeit von mir bei ihm über dem Bett hängt, dann kann ich das Ding doch nicht einfach abhängen und auf einen Vertrag verweisen!
Es gibt konsequente Lösungen, die ohne Emotionen ablaufen und wahrscheinlich viel Zeit und Geld kosten; und es gibt praktische Lösungen, welche, solange ich mir keine Angestellten leisten kann, die einfachste Variante wären.
Ich denke, das meine Arbeiten eh nur einer kleinen Gruppe von Menschen zugänglich ist, und was ist wichtiger, die Arbeiten aus der Hand zu geben oder sie immer wieder neuen Menschen zugänglich zu machen?

Ich folgere daraus, dass du deine Arbeiten am liebsten nicht verkaufen würdest?

Ja, das ist richtig. Natürlich ist es auch schön eine Arbeit zu verkaufen, aber eigentlich auch nur für den ersten Augenblick. Es ist eine Art Bestätigung, ein Lob, ein Dank. Geld ist das Zahlungsmittel für Achtung und Anerkennung. Aber eigentlich reichen auch Worte und gute Gespräche mit interessierten Beschauern. Im Grunde ist eine Arbeit doch irgendwie unbezahlbar. Die Liebe und Mühe, die ich in eine Arbeit investiere ist einfach nicht in Geld veräußerbar. Aber irgendwann muss man natürlich auch von diesem Geld leben können! Schließlich ist das mein Job, wenn man so will.

Warum malst du eigentlich nicht oder benutzt ein anderes Medium, welches sich nicht so einfach Vervielfältigen lässt? Würde sich doch anbieten.

Vielleicht später, wenn mir die Fotografie zu langweilig wird, wenn ich alles ausprobiert und getestet habe. Gegenwärtig zeichne ich auch, ich baue selbst kleine Skulpturen, aber irgendwie bin ich selbst nicht wirklich überzeugt von diesen Arbeiten. Ich muss zugeben, dass ich oft darüber nachdenke, wie meine Arbeit aussehen würde wenn ich mit einem anderen Medium arbeiten würde. Wer weiß, vielleicht schmeiß ich den ganzen Kamera-Kram in zwanzig Jahren aus dem Fenster und stehe vor einer weißen Leinwand?!
Wenn ich den Schalter in meinem Hirn umlegen würde, könnte ich wahrscheinlich jede Technik verwenden, aber jetzt habe ich keine Lust dazu. Und schließlich geht es auch um Spaß, ansonsten hätte ich auch einen anderen Beruf erlernen können.
Mich faszinieren in der Fotografie besonders die Grenzen der Technik. Ich glaube in der Malerei würde ich mich völlig verlieren. Viel zu viele Möglichkeiten. Die Fotografie ist simple und einfach. Man ist sozusagen in ihren Gesetzen gefangen. Das Material ist einfach toll zum ausprobieren und experimentieren.
Die Fotografie gibt den dargestellten Raum, den man ihr vorlegt, wieder; das heißt, sie stellt ein echtes Bild der „Wirklichkeit“ dar. Mit Wirklichkeit meine ich nur die Form, nicht den Inhalt. Wir sehen einen Baum, dann handelt es sich auch tatsächlich um einen Baum, einen echten Baum.
Die Elemente, welche echt sind, verlieren durch subtiles Eingreifen meinerseits an
Realität. Sei es durch die Wahl eines skurrilen Ortes oder durch die Gestik und Mimik der dargestellten Personen.
Es scheint alles normal und natürlich. Aber irgendwie überspitzen sich die einzelnen Elemente so sehr, dass man ihre Wahrheit in Frage stellen könnte. Ich versuche ganz subtil an die Grenzen zwischen Dingen, die wir für wahr annehmen und der Wahrheit an sich, zu gelangen. Ein Hauch von Überspitzung mehr und meine Arbeit wäre vielleicht nur ein platter Witz.

Ein typisches Thema in der Fotografie. Aber wie sieht der Inhalt aus? Was für ein Thema unterliegt deinen Arbeiten?

Kunst ist immer ein Selbstportrait. Bei meinen Arbeiten ist das dann auch ganz direkt sichtbar, da ich auch wirklich in meinen Arbeiten auftauche. Selbstsicher und von der dargestellten Situation (scheinbar) bewusst, stehen ich und die anderen Darsteller im Bild. Aber die Situationen, in denen wir posieren, sind teilweise stark übertrieben, wenn auch auf subtile Art und Weise.
Starrköpfigkeit und Eigensinn versuche ich deutlich aufzuzeigen und dann wieder zu relativieren. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn man sich selbst nicht so unheimlich wichtig und ernst nehmen würde.
Ganz simpel ausgedrückt stelle ich Fragen. Bastele meine eigenen Antworten, so zu sagen meine eigene Wahrheit und zweifele sie gleichzeitig wieder an.

Es scheint doch auch geschichtliche Verweise in deinen Arbeiten zu geben? In der Serie Gesellschaftsspiel posierst du auf einem Kriegsmahnmal oder du stehst auf einem ehemaligen Bunker aus dem zweiten Weltkrieg.

Ja, groteske geschichtliche Beispiele gibt es ohne Ende. Die Geschichte des Bunkers Wassermann, welcher auf der niederländischen Insel Schiermonnikoog steht ist höchst verdächtig. Der Bunker gehörte zum Atlantikwall, von den Deutschen als Schutz vor einer möglichen Invasion gebaut. Ein Radarsystem sollte hier fungieren. Doch durch Sabotage während der Fertigstellung ist das Projekt gescheitert. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es zu einem Cafe umgebaut, was auch gescheitert ist, und heute dient es als Aussichtspunkt für die (deutschen) Touristen.
Was ich versuche zu verdeutlichen, ist eigentlich der Umstand des Irrweges, in dem wir uns häufig verrennen. Wir machen alles besser als der andere. Diese Arroganz und auch das Vorgaukeln von Wissen und Können faszinieren mich. Im Grunde sind wir alle kleine Heuchler, die sich alles passend reden. Wir suchen nach der Wahrheit und sind zu eigensinnig zuzugeben, dass es diese gar nicht gibt.
Auf die Serie mit dem Titel Gesellschaftsspiel bezogen wäre die Frage: „Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Adolf Hitler?“

Woher kommt der Titel Gesellschaftsspiel? Was interessiert dich so stark an dem Gesellschaftsspiel?

Der Titel ist mit einer Freundin entstanden. Eigentlich wollten wir eine Fotoserie zusammen gestalten, in der wir gesellschaftskritisch mit viel Selbstironie agieren. Wir haben die Fotoserie nicht zu Ende gebracht, aber mich hat dieses Thema später immer noch so stark fasziniert, dass ich einfach allein weiter gemacht habe. Der Titel ist ganz einfach entstanden. Wir haben uns überlegt, welche Themen und Ereignisse uns wichtig erscheinen, um sie darzustellen, und beim näheren Betrachten sind uns die Bezüge zur Gesellschaftsstruktur aufgefallen. Da wir beide einen bitteren Beigeschmack mit dem Wort Gesellschaftsspiel verbinden, passt er ganz gut.
Gesellschaftsspiele sind für mich völlig fremd. Bei uns zu Hause gab es kaum Brettspiele; und wenn, dann standen sie nur im Schrank. Dieses Spielen mit vorgegebenen Regeln war schon damals ein Grauen für mich. Ich habe lieber meine eigenen Regeln aufgestellt.

Jeder kennt Situationen, in denen er sich selbst hoch lobt und vielleicht sogar schwindelt, über irgendwelche Schwächen hinweg täuscht. Diese kleinen Lügen versuche ich einzufangen und aufzuzeigen, an ganz banalen Beispielen. Heucheln erwünscht.

Womit beschäftigst du dich momentan? Was sind deine Pläne?

Momentan experimentiere ich mit langen Belichtungszeiten, arbeite mit Camera Obscura Konstruktionen und im September werde ich einen See-Container in eine Camera Obscura umwandeln und einen Monat lang mit dieser Kamera an verschiedenen Orten arbeiten. Echte Unikate möchte ich herstellen, indem ich auf Umkehrfotopapier belichte. Vielleicht auch mal größeres Papierformat ausprobieren, da ich bis dato eher auf kleinem Papier gearbeitet habe. Für ein Master Programm werde ich mich auch bewerben. Mir fehlen kritische Auseinandersetzungen mit anderen Künstlern und Leuten aus der Kunstwelt, außerdem bietet ein Studium Raum und Zeit sich nur auf seine Arbeit zu konzentrieren. Ich habe Lust, mit genauso motivierten Menschen wie ich es bin, Projekte zu erarbeiten und ihre Arbeitsweise und ihre Arbeiten kennen zu lernen. Eine Positionierung in der aktuellen Kunstszene.

Technisch heißt es für mich momentan Kamerasysteme bzw. Linsenlosesysteme selber herzustellen und mit ihnen Experimente durchzuführen. Die Grenzen der Fotografie austesten.
Thematisch beschäftige ich mich zurzeit mit der Innerdeutschen Grenze. Eine Grenzreise ist geplant. Auf dieser Reise werde ich auf Spurensuche gehen. Wo finde ich noch Beweise, dass diese Grenze tatsächlich existiert hat. Wie sieht ein Dorf aus, welches Jahrelang durch eine Mauer getrennt wurde, welche grotesken Situationen hat diese Grenze hervorgebracht.

Hamburg, den 11. Mai 2008

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